Sonntag, 23. Oktober 2011

Wieviel kostet ein Rotkehlchen ?

Der Artikel “Wieviel Euro ist ein Rotkehlchen wert ?” des Biologen Jürgen Gerdes im aktuellen Heft von bild der wissenschaft (11/2011) ist sicher einer der besten Artikel, den ich jemals in diesem Magazin gelesen habe. Der Autor beschreibt darin eindrucksvoll wie das Kosten-Nutzen-Bilanz-Denken, das heute unsere ganze Welt zu beherrschen scheint, mittlerweile auch in Öko- und Naturschutzbewegungen Einzug hält. Fragen wie “Wieviel ist ein Quadratmeter Regenwald wert zur Reinigung von Wasser und Luft ?” ( 0.45 Euro ) oder “Wieviel ist ein Quadratmeter Korallenriff wert zum Schutz der Küsten und Anlocken von Touristen ?” ( 8.52 Euro ) dominieren mittlerweile in den Köpfen von Wissenschaftlern, Politikern und selbst Umweltschützern.

Wer fragt einfach mal nach der Schönheit von Wäldern und der Freude einen seltenen Vogel oder Schmetterling zu sehen ? Nach Lebensqualität und Respekt vor der Schöpfung ? Jürgen Gerdes tut es in diesem Artikel, und das macht ihn so einzigartig und fast schon erhebend. Fakten und Zahlen einfach mal in den Hintergrund treten zu lassen und den gesunden Menschenverstand zu benutzten, auf Augen, Ohren und Gefühle zu hören ist etwas, was wir in dieser Welt, die von Profit und Statistiken gesteuert wird, verlernt haben.

Wollen wir unsere Zukunft wirklich in die Hände derer legen, deren Gehirn aus einer Rechenmaschine besteht, oder schlimmer noch: aus einem Roulette-Tisch ? Die nur noch zwei Farben kennen: rot oder schwarz ? Wirtschaftsexperten und Geldjongleuren, die mit allem handeln, was sie in die Finger kriegen: Schweine-Hälften, Gebäude, Öl oder CO2-Emissionen ? Die es schaffen unsere Wirtschaft in ein fragiles Gebilde zu verwandeln, das uns über Nacht in weltweite Krisen stürzt, weil die Roulette-Kugeln ein unvorhersehbares Eigenleben entwickelt haben ? Die unser Schicksal in ein Spiel verwandeln, das sie ständig verlieren, weil sie es nicht beherrschen, nicht beherrschen können ? Weil das Lebens und unsere Existenz eben kein Spiel ist.

Gesunder Menschenverstand braucht eben keine Zahlen und Fakten, sondern das Erkennen von Zusammenhängen, das Hören auf Gefühle, die Bewertung moralischer Fragen, Logik, Überblick und Ruhe. Manager und Politiker, die nur noch dann zu einer Entscheidung fähig sind, wenn man ihnen zwei Zahlen vorlegt und sie fragt, ob sie lieber die rote oder die schwarze hätten, sind nicht wirklich die, die uns weiter bringen.

Öffnet die Augen, öffnet die Ohren, öffnet die Herzen, dann entscheidet. Das ständige Starren in e-Mails und Tabellenkalkulationen bringt uns nicht weiter.

Doch wo finden wir Sponsoren für die wirkliche Verbesserung unserer Welt ? Wo findet man die Geldgeber für alles, was wir vorhaben, der nicht in Zahlen denkt, der nicht fragt: was bringt mir das ? Hier liegt das Dilemma: schaffen wir es wirklich intelligent zu agieren ohne die Prinzipien der Wirtschaft ? Oder können wir die Prinzipien unserer Wirtschaft so verändern, daß sie uns eine sichere Zukunft ermöglichen ?

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